Mein Freund
Er war Cathis Vater. Wir waren Freunde. Michael, genannt Mischka, kam mit mir im August 1988 zum Studium der Kulturwissenschaften an der Militärpolitischen Hochschule in Berlin Grünau zusammen. Er war Kabarettist und Kapitänleutnant der Volksmarine. Wir freundeten uns an, unternahmen viel miteinander, konnten über alles miteinander reden, tranken aber leider auch sehr viel. Ich habe zu spät gemerkt, dass der Alkohol für Mischka ein Problem ist, ja sogar eine tödliche Gefahr. Mischka schwankte beständig zwischen übersprudelnder Lebendigkeit mit tollen Ideen und tiefer Niedergeschlagenheit. Wir sprachen später oft darüber, als wir uns nur noch selten sahen und fast nur noch miteinander telefonierten. Ich möchte diese Seite nicht mit Anekdoten und Histörchen erschlagen. Ich habe drei Texte aus der Zeit meines Abschieds von ihm ausgewählt, meinen Abschiedsbrief einen Tag nachdem ich von seinem Tod erfahren hatte, eine Ergänzung zu diesem Brief und meine Abschiedsrede an Bord der MS Kalinin. Es war das gleiche Schiff, mit dem wir vier Jahre nach ihm Cathi auf See bestatteten, an der gleichen Stelle wie ihn.
Abschiedsbrief vom 22.04.2001
Lieber Mischka,
als Cathi mich gestern anrief und sofort treffen wollte, ahnte ich manches. Ich erfuhr von ihr, dass Du Dich aus dem Staub gemacht hast. Einfach so. Ohne Dich zu verabschieden. Ja, Du hast vor etwas mehr als drei Wochen erfahren, dass Du Darmkrebs hast. Aber der war doch noch nicht im Endstadium. Wie konnte es dann plötzlich so schnell gehen? Die Polizei jedenfalls betont, es wäre ein natürlicher Tod gewesen. Bei Gott, Du warst doch sonst immer so rücksichtsvoll. Und nun das. Da muss Deinetwegen extra die Polizei kommen. Und Cathi war auch sehr traurig. Erst konnte sie mir kaum die Nachricht übermitteln. Aber dann fing sich dieses Prachtmädel. Sie dachte darüber nach, wie sie Dir einen schönen Abschied geben könnte. Sie will Dich verbrennen und Deine Asche ins Meer schütten lassen. Das sollte Dir doch gefallen! Du liebst doch das Meer. Und wie wir so über praktische Dinge redeten, sagte sie plötzlich: „Weißt Du, mir fällt gerade ein, dass ich Vati nun nie wieder sehen werde.“ Da erst wurde ich richtig und sehr traurig, denn bei mir brauchen schlimme Nachrichten immer viel Zeit für den Weg vom Ohr zum Herzen. Und nun, da ich diese Zeilen schreibe, muss ich weinen und verzweifelt nach dem berühmten Trost suchen, der ja in allem mit liegen soll, auch im Tod eines Freundes.
Vielleicht steckte hinter Deinem Leben und Sterben so etwas wie ein göttlicher Plan. Du warst sehr schnell zu begeistern, konntest aber ebenso schnell in Depressionen verfallen. Deine Umgebung und, jetzt kannst Du es ja ruhig offen eingestehen, sogar Du selbst, waren der Ansicht, es könnte sich um manische Depression handeln. Deswegen warst Du ja auch schon mal in Behandlung. Aber dem war gar nicht so. Der alte Typ da oben hatte Dir von Anfang an nur eine kürzere Spanne eingeräumt, wollte aber das ganze Programm abspulen. Deshalb ging alles etwas schneller als bei anderen. Und dann diese fiese Pointe. Erst sorgt er dafür, dass einem Chirurgen das Skalpell ausrutscht und Dir damit dein Schließmuskel demoliert wird. (Ich weiß noch, wie sehr Du unter diesem Mist gelitten hast.) Und dann bemüht er am Ende wieder einen Darmkrebs, damit Dir nur ja auch der Arsch richtig zugekniffen wird. Diese Pointe würde ins Kabarett passen, aber leider kenne ich außer Dir keinen anderen Kabarettisten, der sie spielen könnte.
Was bleibt mir nun? Was kann ich Dir noch sagen? Dass ich Dich lieb hatte, wie man einen Freund lieb haben kann. Aber da stünde die Frage, warum ich es fast fünf Jahre lang nicht geschafft habe, Dich mal zu besuchen. Egal, Du warst und bist und bleibst mein Freund. Das haben wir uns gesagt und auch gemeint. Ich wünsche Dir, dass es da, wo Du jetzt bist, so etwa zugeht, wie es die alten Germanen beschreiben. Eine große Tafel und daran sitzen die Helden und tafeln. Und vielleicht kannst Du dahin auch ein paar schöne Erinnerungen mitnehmen. Weißt Du noch, wie wir in Prerow auf dem FKK-Zeltplatz gefrühstückt haben und vor dem Nachbarzelt saß die Mutter mit ihren beiden bildhübschen, etwa achtzehnjährigen Töchtern? Plötzlich dauerte unser Frühstück ewig. Und lächerlich machten wir uns, weil wir mit gereckten Hälsen und eingezogenen Bäuchen dasaßen. Aber wir haben schon immer gern andere zum Lachen gebracht. Und schließlich hatten wir dafür eine tolle Aussicht.
Halte Dich wacker, mein Alter. Und wenn Dich Langeweile ankommt, flirte ein wenig mit Tamara. Die hängt da sicher auch irgendwo rum.
In Ewigkeit!
Dein alter Freund Reni
Ergänzung zum Abschiedsbrief vom 26.04.2001
An Darmkrebs ist er nicht gestorben, unser Mischka. Ich bin leider nur ein absoluter Laie in medizinischen Fragen, deshalb fällt die Schilderung folgender Ereignisse nicht ganz so professionell aus, wie sie mir gegenüber dargestellt wurden. Mischka hatte etwas, was die Mediziner als „Ösophagus Varizen“ bezeichnen. Profan könnte man das auch als Krampfadern in der Speiseröhre bezeichnen. Auslöser dieser Krampfadern ist ein erhöhter Druck in der Pfortader. Dies ist die Vene, die das Blut vom Darm zur Leber, also zur Reinigung transportiert. Auslöser dieses erhöhten venösen Druckes wiederum können auf der einen Seite Darmgewächse (z.B. Krebs) und auf der anderen Seite zirrhotische Zustände der Leber (eine ausgewachsene Zirrhose ist da noch gar nicht notwendig) sein. Das folgende ist eine Mutmaßung: Dass Mischka ein Alkoholproblem hatte, war ihm selber bekannt. Er hatte immer wieder versucht, etwas dagegen zu unternehmen. Er hat mir immer wieder von seinen Erfolgen berichtet, was leider auch immer wieder auf Rückschläge schließen ließ. Die Leber dürfte aber bereits geschädigt gewesen sein. Das Auftreten des Darmkrebses, die Diagnose darauf war ja erst wenige Wochen zuvor gestellt worden, erhöhte den Druck im venösen System. Die schwächste Stelle dieses Systems sind aber die Adern an der Speiseröhre, deren dünne, flexible Wandungen keinen großen Schutz bieten. In solch einer Situation können das Schlucken eines großen Brockens, das Essen eines harten Brötchens, ein etwas stärkeres Pressen beim Stuhlgang bereits ein Todesurteil sein. Selbst unter ärztlicher Aufsicht in einer Intensivstation besteht beim Platzen einer solchen Vene in der Speiseröhre keine nennenswerte Überlebenschance. Aus den Schilderungen von seinem Sohn Thomas, der nach meiner Auffassung die braunen Spuren in der Toilette und im Flur falsch interpretiert hat, kann ich schließen, dass es Mischka auf der Toilette erwischt hat. Aufgrund des sich bildenden Krebsgeschwürs musste er wohl etwas mehr pressen. Der Druck des Blutes in der Vene der Speiseröhre ist bei diesen Krampfadern sogar noch höher als in den Arterien. Die Spuren, die Thomas beschrieben hat, waren getrocknetes venöses Blut. Mischka muss sich noch bis zum Bett geschleppt haben. Dennoch ging alles sehr schnell. Der hohe Blutverlust sorgte für eine rasche Entkräftung. Das Ganze war ein Werk von Sekunden. Und das kann vielleicht für uns ein Trost sein: Es kam überraschend und ging schnell ...
Als ich gerade mit einer Freundin diese grausigen Details durchgesprochen habe, dominierte eigenartigerweise bei mir ein Gefühl der Erleichterung. Es war mir, als würde Mischka über alle Gerüchte rehabilitiert. Es war weder Selbstmord, noch das unmittelbare Trinken von Alkohol an diesem Tag. Mischka war krank, und egal wie man seinen eigenen Anteil an der Sache, nennen wir es meinetwegen seine Schwäche, bewerten sollte, er wollte nicht aus dem Leben gehen, er wurde aus dem Leben gerissen. Und nun kann ich ihn einfach nur betrauern, ich muss ihn nicht verteidigen. Das ist meine Erleichterung. Ich hatte in der Nacht des Tages, an dem ich von seinem Tod erfuhr, den oben zitierten kleinen Abschiedsbrief an ihn geschrieben. Ich verbleibe in Trauer um einen guten Freund.
Klaus-Peter Renneberg
Abschiedsrede an Bord der MS Kalinin zur Seebestattung am 08.09.2001
Lieber Mischka,
wir wurden Freunde am 14. Dezember 1988. Unsere Studiengruppe veranstaltete eine Weihnachtsfeier. Ich spielte den Weihnachtsmann und Du hast mir bei der Vorbereitung und beim Spiel selbst geholfen, warst sozusagen mein Knecht Ruprecht. Du sagtest mir am Abend nach der Feier, dass wir uns gut verstünden. Und dann tatest Du etwas, was ich in dieser Direktheit von keinem anderen Menschen erlebt hatte. Du fragtest mich, ob wir Freunde sein wollen. Ich muss wohl zugestimmt haben. Jedenfalls wurden wir Freunde und blieben es, heute möchte ich fast sagen: Für immer. Ich glaube, wir passten gut zusammen, wie zwei Dickschädel halt gut zusammenpassen können. Du wurdest Fan und dann auch noch Förderer unserer Band. Dich habe ich leider nur zu selten als Kabarettist erlebt. Aber was ich davon sah, hat mir gefallen. Ach, wir haben uns das, glaube ich, oft genug gesagt. Wir hatten viel Spaß miteinander. Wir haben leider auch recht viel getrunken.
Dann kam das, was heute als Wende und Wiedervereinigung und was weiß ich wie bezeichnet wird. Für Dich, als Kapitänleutnant einer verhökerten Flotte und für mich als Hauptmann einer untergegangenen Truppe war plötzlich nichts mehr zu tun im Lande. Während ich in Berlin blieb, zog es Dich an die See, wohin sonst. Wir sahen uns nur noch sehr selten. Und die Telefonate ersetzten kaum das Begegnen, das richtige Männerquatschen, das Miteinanderschweigen und das Sichumarmen. Ich habe Deine Höhen, Deine Tiefen, Deine Traurigkeiten fast nur aus der Ferne verfolgt. Irgendwann habe ich mal ein Lied entdeckt. Ich habe es gelernt, und fast immer wenn ich sang, habe ich an Dich gedacht. Es ist von Gerhard Gundermann:
Ein Freund sollte sein wie ein wildes Tier
Voll Misstrauen und immer sprungbereit,
dass ich die Aufmerksamkeit nicht verlier’,
nicht sicher mich fühle vor der Zeit.
Ein Freund sollte sein wie die zärtlichste Frau,
und wenn ich im Suff zu reden beginn’,
hält er meinen Kopf und hört ganz genau
und findet aus all dem Unsinn den Sinn.
Ein Freund sollte sein wie der seltenste Gast,
ich hör ihm zu wie keinem andern je zuvor,
geht er dann für Jahre und ohne Hast,
klingt seine Geschichte mir noch im Ohr.
Ein Freund sollte sein wie ein guter Freund,
als hätt’ er einen anderen als mich nicht im Sinn,
und das sei für die graden Tage gemeint,
an ungraden Tagen bin ich es für ihn.
Und jetzt sind wir hier zusammen auf diesem Schiff. Kerstin, Cathi und Thomas haben alles dafür getan, dass es so ist. Säßen wir jetzt zusammen und ich würde es Dir erzählen, dann würdest Du Dich zurücklehnen. Du würdest die Hände hinter Deinem Nacken zusammenfalten, würdest Dein tiefstes Lächeln auflegen und Deine Augen würden glänzen, vor Freude und weil Du sentimentaler Hund wieder mal kurz vorm Heulen stündest. Sie sind hier, alle sind hier und die nicht da sein können, die Jungs, lassen Dich grüßen.
Es geht auf den Abend zu Mischka. Der Wind kommt auf. Seemannswetter. Spring nochmal ins Meer und dann schlaf gut.
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